18.04.2024 | Mittelalterforschung

Pionierarbeit bei der Entschlüsselung des Alters von mittelalterlichen Bucheinbänden

Rund 450 Originaleinbände der Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg werden mittels klassischer Kodikologie und moderner Infrarot-Spektroskopie untersucht. Forscher:innen wollen mit der neuen Methode dem genauen Alter der Bücher auf die Spur kommen, erzählt ÖAW-Wissenschaftlerin Maria Theisen.

 

Bücher wurden im Mittelalter per Hand geschrieben und kopiert. Ihre Einbände wurden bisher wenig untersucht, dabei erzählen sie viel über die Entstehungszeit eines Buches. © Adobe Stock

Man soll Bücher nicht nach ihrem Einband beurteilen, heißt es gemeinhin. Dabei erzählen mittelalterliche Bucheinbände viel über die Entstehungsgeschichte, historische Bindetechniken und regionaltypische Ornamentik sowie die Sammlungsgeschichte einer Bibliothek. Im Mittelalter wurde auf den Innenseiten der Buchdeckel auch oft vermerkt, wann und von wem ein Werk angekauft worden war. Umso mehr verwundert, dass Bucheinbände eine bislang wenig beachtete historische Quelle sind.

Chemie trifft auf Handschriftenkunde

Das vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützte Projekt „ABC – Ancient Book Crafts“ möchte Pionierarbeit leisten, indem man Bucheinbände und deren kunstvolle Gestaltung ins Zentrum rückt. Unter der Leitung von Maria Theisen vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) werden in den kommenden drei Jahren rund 450 Originaleinbände von Codices und im 15. Jahrhundert gedruckten Büchern (sogenannten Inkunabeln) in der Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg – eine der größten in situ erhaltenen mittelalterlichen Sammlungen Österreichs – kodikologisch untersucht. Ein interdisziplinärer Ansatz bringt dabei Forschende aus den Bereichen der Geisteswissenschaft, der Kodikologie (Handschriftenkunde) und Restaurierung mit Forschenden der analytischen Chemie und Statistik zusammen. Für die Projektleitung ist Johannes Tintner-Olifiers vom Institut für Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien zuständig.

Neue Datierungsmethode

„Um das Alter der Ledereinbände festzustellen, arbeiten wir im Team mit Naturwissenschaftlern, die nicht-invasive Methoden aus der Archäologie anwenden, ohne die untersuchten Einbände zu beschädigen“, sagt Theisen. Die chemische Struktur des Materials wird dabei mithilfe von Infrarot-Spektroskopie bestimmt, das Buch selbst wird nicht vom Messgerät berührt. Oxidationsprozesse verändern die Oberfläche jedes organischen Materials, sei es Leder, Pergament oder Papier. Durch Messungen dieser Veränderungen soll ein Modell erstellt werden, mit dem das Alter des verwendeten Einband-Materials bestimmt werden kann.

„Je mehr von unseren Daten wir einspeisen, desto verfeinerter werden diese Bestimmungen“, so Theisen. Um genügend Vergleichsmaterial zu sammeln, arbeitet das österreichische Forschungsteam mit einem Schwesterprojekt in Slowenien zusammen. Auch die Tschechische Nationalbibliothek in Prag wird sich daran beteiligen.

Sollte sich die neue Datierungsmethode als tragfähig erweisen, wird sie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, um sie in weiteren Bibliotheken, Archiven und Museen nutzen zu können.